With Your Hands Black
With Your Hands Black
Auszug aus dem Vortrag anlässlich des 2. art residency Kunstsymposium im Wildbad in Rothenburg ob der Tauber zum Thema Transformation. Stipendiatin: Ulrike Mohr
Auch die sogenannte Kunstwelt verfügt über ihr eigenes Glaubenssystem. Sie kann auf außenstehende undurchdringbar wirken, ähnlich einer Liturgie in einer seltenen Sprache oder ein von der Außenwelt abgeschlossener Orden. Die Aspekte des Produzierens und Interpretierens, die Bestandteil von Transformationsprozessen sind, zeigt die Nähe zwischen der Bildenden Kunst und Religion.
Ulrike Mohrs Werke besitzen eine eigene stoffliche Präsenz, die aus ihrem prozessorientieren Umgang mit den von ihr einbezogenen Materialien resultiert. Dabei gilt ihr Interesse nicht nur dem Material und seiner Beschaffenheit, sondern auch der zeitlichen Dimension, die den Substanzen innewohnt. Das Material Kohle und damit das Köhlern, das sie 2008 für sich entdeckt hat, wird zu ihrem persönlichen Instrumentarium von Transformationsprozessen.
2013 lud ich Ulrike Mohr zu einer Ausstellung in das Studio im Heidelberger Kunstverein ein. Sie eröffnete mit ihrer Ausstellung „With Your Hands Black“ die Ausstellungsreihe „Das Serendipitätsprinzip“, in der es um Reisen und den Zufall ging. Das nach einem persischen Märchen benannte Prinzip, beschreibt eher diese Zufälle, die stattfinden, wenn man die sorgfältig geplante Route verlässt. Der im Titel ihrer Ausstellung bereits angelegte Aspekt des Tuns, des Arbeitens mit den Händen deutet auf das prozesshafte Tun des Köhlerns hin, aber vor allem auch, dass bei allen Schritten, der Zufall, das Experiment, das Taktile und das was eigentlich am Rand passiert, eine besondere Rolle spielt.
In Heidelberg hat Ulrike Mohr sich mit der Herstellung des Frankfurter Schwarz beschäftigt. Dieser bestimmte Farbton einer Zeichenkohle wird aus Trester gewonnen. Mohrs Installation glich einem Aufblättern. Sie präsentierte die unterschiedlichsten Schwarztöne nebeneinander und das Medium Kohle galt es mit seiner eigenen Materialästhetik zu entdecken: Gebogene Äste, heller Sand, Fassringe, Ton und Weinreben lagen in und über die Terrazzofelder des Bodens verteilt. Abstrahierend zeigte sie ein Ensemble aus Produkten des Tresters – den Überresten der Weintraubenpresse. Wir können Kohle hier historisch und sozial verstehen: als Folgeprodukt der Weinernte, als Mittel zur Farbproduktion und dem darauf aufbauenden Druckverfahren mit Kupferplatten, das die Hände schwarz gefärbt hinterlässt. Industriell gefertigte Zeichenkohle trifft auf die von ihr selbst hergestellte. Ihre Zusammenstellung präsentierte nicht nur transformierte Objekte mit neuen Eigenschaften, sondern auch dreidimensionale Zeichnungen, die sich im Raum entfalten. Asche, Ruß, Ton, Glas, Metall, Stoff, Licht, Farbe und Wasser sind weitere Bestandteile, die das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Materialgefühl, Handfertigkeiten und tradierten Techniken widerspiegeln. Denn in Ulrike Mohrs Kunst gibt es immer ein Daneben. Neben den eigentlichen Objekten, die am Ende eines langen Prozesses entstehen, sind die urbanen, landschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Aspekte nicht losgelöst davon zu sehen, sondern Teil des Ganzen. Ihr Handeln, das aus ihrer feinen Beobachtung wächst, fordert Entscheidungen und diese Entscheidungen, sind auch Teil des Transformationsprozesses. Ohne Entscheidung kein Wandel. Ulrike Mohr greift, wie in Minneapolis 2013, im richtigen Moment zu. Dadurch entsteht ein Begreifen mit zwei Händen und zwei Augen, die Dinge spüren, fühlen und ertasten, mit einem Blick, der in dem Moment schon weit vorausschaut. Das Sammeln am Wegesrand, also das Berühren mit den Augen und den Händen, ein Schritt in ein unbekanntes Terrain, bringt bei der Künstlerin auch Gemeinschaft, denn in ihren Prozessen arbeitet sie nicht alleine, sondern immer mit Verbündeten. Dadurch gleicht ihr Werk auch häufig einer Einladung. Es wird gemeinsam gesammelt, gebaut, geköhlert und gewartet, ob das Experiment gelungen ist. Die junge Gemeinschaft nimmt Einfluss auf den ästhetischen Prozess: aus welchen Materialien wird der Ofen gebaut, welche sind überhaupt an diesem Ort verfügbar und was wird überhaupt geköhlert? Und an dieser Stelle ist es die Haltung des Individuums zu den Dingen, die transformiert, verändert wird. Welten werden verbunden, die Kunstwelt ist plötzlich nicht mehr hermetisch, sondern offen und einladend. Anerkennung Gleichgesinnter, die Zusammenarbeit, die Wertschätzung, schöpferisches Handeln, die Interpretation als das Begreifen eines Prozesses werden Teil des eigenen Tuns.
Mit ihren geköhlerten Objekten erzählt Ulrike Mohr viel über die Orte, an denen sie mit dem Köhlern die Eigenschaften des Materials an die Oberfläche holt. Sie zeigt uns die Objekte vor allem auch als gedächtnisfähige Materialien, sie sind und werden Wissensspeicher. Ihre Bestandsaufnahme von Hölzern einer Gartenkolonie in Berlin-Neukölln, die dem Bauboom und der Wohnungsnot weichen musste, führte sie in ihrer Antrakothek (2013) zusammen, sprich einer Kohlenbibliothek. Mit Untersuchungen wie diesen initiiert sie soziale und ästhetische Prozesse, die unerlässlich für ihr Werk sind.
Bei Mohr sind die Materialien, die sie köhlert Teil einer Geschichte, deren Zeit und Aufgabe eigentlich schon abgelaufen ist. In dem sie immer wieder neue Sammlungen anfertigt, lädt sie die Materialien ein, in den Raum der Gegenwart zurückzukehren, d.h. sie transformiert nicht nur ihren Zustand, sondern auch ihre Bedeutungsebene, indem sie diese in der Zeit festhält, unter dem Abschluss von Sauerstoff. Die Dinge werden zu Unikaten und sind genau das was sie sind und was sie waren – durch die Transformation in ein geköhlertes Objekt bekommen sie eine Bühne für ihre Einzigartigkeit.
Susanne Weiß, 2018